Vor 25 Jahren: eXistenZ flog als Flop aus den Kinos
Der visionäre Film hatte viele Gegner: ein grandioses Kinojahr, den Millennium-Bug und "The Matrix". Aber war er deswegen schlecht?
Der visionäre Film hatte viele Gegner: ein grandioses Kinojahr, den Millennium-Bug und "The Matrix". Aber war er deswegen schlecht?
Der Jahreswechsel von 1999 auf 2000 ist jetzt 25 Jahre her. Wir haben zu diesem Anlass ein Special Radio mit dem coolen Millennium Sound für euch!
1999 war sicherlich eines der stärksten in der Geschichte Hollywoods: Fight Club, Magnolia, American Beauty, Being John Malkovich, The Sixth Sense, Eyes Wide Shut, The Virgin Siucides, Der talentierte Mr. Ripley, Bang Boom Bang, Eiskalte Engel, Galaxy Quest, Blair Witch Project, Notting Hill, American Pie, Sonnenallee, Jakob der Lügner und Ed TV. Sagen wir so: als Filmproduzent hätte man sich 1999 Sorgen gemacht, ob die Kinobesucher überhaupt noch die Zeit für einen weiteren Film gefunden hätten.
Der Kult-Regisseur und Produzent David Cronenberg war Ende 1999 jedoch selbstbewusst genug, seinen Film eXistenZ (offizielle Schreibweise) noch ins Weihnachtsgeschäft 1999 zu schicken. Der kanadische Filmemacher gilt als Pionier des sogenannten "Body Horror" – einem Genre, das sich mit der physischen und psychologischen Transformation des Körpers beschäftigt. Mit dem Film "Die Fliege" (1986) hatte David Cronenberg diesem Genre eine Referenz geschaffen.
Mit eXistenZ kehrte David Cronenberg 1999 zu seinen Wurzeln zurück und erkundete die Verschmelzung von Virtualität und Realität. Der Film spielt in einer nahen Zukunft, in der immersive virtuelle Realitäten über organische Spielkonsolen erlebt werden, die mit dem menschlichen Körper verbunden sind. Diese Konsolen – biomechanische Geräte, die als "Game Pods" bezeichnet werden – schaffen eine Erfahrung, bei der Spieler vollständig in die Spielwelt eintauchen können.
Die Geschichte folgt Allegra Geller (gespielt von Jennifer Jason Leigh), einer gefeierten Spieleentwicklerin, die ihr neuestes Werk, eXistenZ, bei einer Testvorführung präsentiert. Doch die Situation eskaliert, als ein Attentat auf sie verübt wird, offenbar durch eine Gruppe von "Realisten", die gegen die Verschmelzung von Mensch und Technologie kämpfen. Gemeinsam mit Ted Pikul (Jude Law), einem Sicherheitsmann, der plötzlich in die Ereignisse verwickelt wird, flieht Allegra Geller. Sie nimmt Ted Pikul mit in die virtuelle Welt von eXistenZ, um herauszufinden, ob das Spiel unbeschädigt ist. Während die beiden tiefer in die Simulation eintauchen, verschwimmen die Grenzen zwischen der Spielwelt und der Realität zunehmend.
David Cronenberg thematisiert in eXistenZ klassische Motive des Body Horror: Die Verbindung von Mensch und Technologie wird durch die organischen "Game Pods", die über fleischige "Bio-Ports" direkt an die Wirbelsäule der Spieler angeschlossen werden, physisch greifbar. Der Film setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, wie Technologie unsere Wahrnehmung der Realität verändert. Heute lassen sich die Diskussionen um Technologien wie Oculus Rift und andere Virtual-Reality-Systeme auf faszinierende Weise mit den Themen von eXistenZ verbinden, da der Film viele Fragen aufwirft, die auch in der realen Entwicklung von VR-Technologie relevant sind. Das macht David Cronenberg 25 Jahre später zu einem Visionär. Über die Jahreswende 1999-2000 war der Film aber ein Flop.
In Deutschland wurde der Film ins Weihnachtsgeschäft 1999 geschickt. Da hatte der hiesige Kinofan bereits ein Kinojahr der Superlative hinter sich. Und, das mag sogar fast wichtiger sein: "The Matrix" war der große Hit des Jahres gewesen. "The Matrix", unter der Regie der Wachowski-Geschwister, war ein bahnbrechender Science-Fiction-Actionfilm, der die Popkultur revolutionierte. Der Film erzählt die Geschichte von Thomas Anderson alias Neo (Keanu Reeves), einem Hacker, der entdeckt, dass die Welt, in der er lebt, eine Simulation ist – die „Matrix“. Die Menschheit wird von Maschinen versklavt, die ihre Körper als Energiequelle nutzen, während sie ihr Bewusstsein in einer künstlichen Realität gefangen halten.
Mit seiner Mischung aus philosophischen Themen wie Realität, freiem Willen und Kontrolle, kombiniert mit spektakulärer Action und innovativen visuellen Effekten war der Film, anders als eXistenZ, zugänglicher und stilistisch auf Hochglanz poliert, was ihn für ein breites Publikum attraktiver machte. Er vereinte tiefgründige Konzepte mit packender Unterhaltung. Auch wenn "The Matrix" um Längen oberflächlicher bleibt als eXistenZ, dieser spezielle Markt war von "The Matrix" im Jahr 1999 komplett bedient worden.
Zudem hatte sich die Stimmung im Laufe des Jahres 1999 verändert. An die Stelle einer Begeisterung für die Themen der Zukunft war eine Zukunftsangst getreten. Die Stimmung wurde von einer allgemeinen Aufregung über den sogenannten Y2K-Bug begleitet, da viele Menschen befürchteten, dass Computersysteme weltweit beim Jahreswechsel versagen könnten. Hintergrund war, dass die Programmierer in den frühen Systemen die Jahreszahlen mit zwei Stellen geschrieben hatten, also "85" für das Jahr 1985. Mit zunehmender Rechnerleistung war das natürlich unnötig, wurde aber oft nicht angepasst. 1985 war dann auch das Jahr, in dem der Y2K-Bug vom Programmierer Spencer Bolles erkannt wurde: "Wenn wir das Jahr 2000 erreichen, akzeptieren Computer das neue Datum? Oder wird der Computer davon ausgehen, dass es 1900 ist? Wird das überhaupt ein Problem verursachen?"
Die Allgemeinheit reagierte angespannt auf die Ankündigungen zum Y2K-Bug. Was würde passieren? Würde der Jahreswechsel ins Chaos abrutschen? Die Berliner Polizei ließ im Vorfeld sogar verkünden: "Vom Ampelausfall über den Stromausfall oder den Ausfall der Notrufleitungen und den möglichen Szenarien die sich daran anschließen könnten: von der Panik bis zu möglichen Plünderungen - Wir haben das durchgespielt und sind vorbereitet." Kurz gesagt: Ende 1999 wollten die Kinofans nicht auch noch dystopische Filme sehen.
Vor genau 25 Jahren nahmen dann auch die letzten Programmkinos eXistenZ aus dem Programm. Der Film hatte bis dahin weltweit schmale 2,9 Millionen Dollar eingespielt. Auch wenn er preiswert realisiert worden war, also nur 15 Millionen gekostet hatte, eXistenZ war ein krasser Flop an der Kinokasse.
Für David Cronenberg war der Flop ein Rückschlag, er brauchte eine Weile, um wieder relevante Filme zu veröffentlichen. Die phantastische Jennifer Jason Leigh konnte sich glücklicherweise bald mit "Weiblich, ledig, jung sucht…" zurückmelden. Und Jude Law hatte ja zeitgleich "Der talentierte Mr. Ripley" in den Kinos, was seine Karriere rettete. Für 90er-Fans bleibt eXistenZ aber ein Kultfilm, der so viel mehr zu bieten hat als "The Matrix", insbesondere auch, weil er sich im Gaming-Universum bewegt. Und das ist zweifellos das große Thema unserer Zeit geworden.