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The Notorious B.I.G. & 2Pac
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The Notorious B.I.G. & 2Pac
Story

Der 90er HipHop-Krieg: Ost gegen West

Die beiden US-Küsten hatten schon immer verschiedene Mentalitäten. In den 90ern führte das zu einem Streit der Rapper - mit prominenten Todesopfern. Wie konnte es so weit kommen?

MC Hammer mit U Can't Touch This

HIPHOP & RAP

HIPHOP & RAP

Rap der 90s wird auch als "Golden Age Hiphop" bezeichnet. Der Sound war noch experimentell und innovativ aber dennoch erfolgreich und beliebt. Jetzt hier einschalten!


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MC Hammer mit U Can't Touch This
Snoop Dogg & Dr. Dre
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Snoop Dogg & Dr. Dre

Der Ursprung des Konflikts: Hip-Hop wächst, Identitäten prallen aufeinander

HipHop begann in den 70er Jahren in New York, genauer gesagt in der Bronx. New York liegt an der US-Ostküste. DJs wie Kool Herc und Afrika Bambaataa legten den Grundstein, Rap wurde zum Sprachrohr der Jugend in sozial benachteiligten Vierteln. Künstler wie Run-DMC, LL Cool J und Public Enemy brachten den East-Coast-Sound auf die Landkarte – mit harten Beats, cleveren Reimen und einer rebellischen Haltung.

In den späten 80ern betrat die Westküste die Bühne: N.W.A. aus Compton, Kalifornien, erzählte von Gewalt, Polizeibrutalität und Gang-Leben. Sie schockierten und begeisterten gleichermaßen. Ihre Musik war aggressiver und basslastiger – ein neuer Stil namens G-Funk, populär gemacht von Dr. Dre und später Snoop Dogg. Die Westküste stieg auf, was das Ego vieler East-Coast-Künstler verletzte. HipHop war nun ein nationales Phänomen, und beide Seiten wollten die Nummer eins sein.

Beide, weit voneinander entfernte, Problemviertel hatten zwar ähnliche Probleme: Jugendarbeitslosigkeit, Rassismus bei der Polizei, fehlende Aufstiegschancen und eine verwahrloste Bausubstanz, aber dennoch waren (und sind) Compton in L.A. und die New Yorker Bronx kulturell sehr verschieden. Die jungen Rapper identifizierten sich stark mit ihrer Herkunft und fremdelten mit den Geschichten der anderen Küste. Zudem war es für junge Menschen aus Compton oder der Bronx auch vollkommen undenkbar, die andere Stadt kennenzulernen. Los Angeles und New York liegen 4.500 Kilometer voneinander entfernt. Mit einem Auto bedeutet das mehr als 40 Stunden reine Fahrtzeit. Flugtickets waren in den frühen 90ern noch richtig teuer. Für die unterprivilegierten Kids dieser Stadtteile war es vollkommen undenkbar, die jeweils andere Seite der USA kennenzulernen.

9 Fakten zu HipHop in den 90s

The Notorious B.I.G. & 2Pac
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The Notorious B.I.G. & 2Pac

Die Hauptakteure: Biggie und Tupac

Zwei Künstler wurden schnell zu Symbolfiguren des Konflikts: Tupac Shakur (West Coast) und The Notorious B.I.G. (East Coast). Tupac (2Pac), der Sohn politisch aktiver Eltern aus den Black Panthers, war mehr als ein Rapper – er war Schauspieler, Dichter und Aktivist. Seine Texte waren tiefgründig, oft politisch, aber auch aggressiv und emotional. In den frühen 90ern war Tupac bereits ein Star und zog nach Kalifornien, wo er bei Death Row Records unter Vertrag genommen wurde. Biggie (The Notorious B.I.G.), ein schwergewichtiger, charismatischer Rapper aus Brooklyn, New York, wurde von seinem Mentor Sean "Puffy" Combs entdeckt. Sein Album "Ready to Die" (1994) machte ihn zur Ikone der East Coast. Biggies Flow war geschmeidig, seine Texte clever – er verkörperte die Eleganz, Urbanität und Härte von New York.

Heute schon für den 90s90s Countdown abgestimmt?

Notorious B.I.G. - Who Shot Ya? (Music Video)
Notorious B.I.G. - Who Shot Ya? (Music Video)

Die Eskalation: Ein Raubüberfall wird zum Wendepunkt

Zu Beginn waren Tupac und Biggie Freunde. Doch ihre Beziehung verschlechterte sich rapide. 1994 wurde Tupac in einem Tonstudio in New York angeschossen und ausgeraubt. Tupac überlebte knapp, war aber überzeugt, dass Biggie und Diddy davon wussten oder beteiligt waren. Biggie bestritt dies und sagte, er habe nichts damit zu tun. Trotzdem veröffentlichte er kurz darauf den Song "Who Shot Ya?", der – obwohl angeblich nicht über Tupac – wie ein Spott klang. Tupac reagierte wütend. Er fühlte sich verraten und startete eine öffentliche Fehde gegen Biggie und die gesamte East-Coast-Szene. Dieser Moment markierte den Beginn des persönlichen Konflikts, der bald zur kulturellen Rivalität zwischen den Küsten wurde.

Suge Knight & P. Diddy
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Suge Knight & P. Diddy

Die Rolle der Labels: Death Row vs. Bad Boy

Hinter den Kulissen kämpften zwei mächtige Plattenfirmen um die Vorherrschaft. Und es ging mittlerweile um richtig viel Geld, denn HipHop verkaufte zwischenzeitlich richtig gut. Death Row Records (West Coast): Gegründet von Suge Knight und Heimat von Tupac, Dr. Dre und Snoop Dogg. Death Row war bekannt für seinen einschüchternden Ruf – Suge Knight galt als skrupelloser Geschäftsmann. Bad Boy Entertainment (East Coast): Gegründet von Sean "Diddy" Combs, förderte Stars wie Biggie, Mase und Faith Evans. Bad Boy repräsentierte den glitzernden New Yorker Lifestyle mit schicken Anzügen und glamourösen Videos.

Die Rivalität zwischen den Labels wurde öffentlich, als Suge Knight auf den Source Awards 1995 Diddy beleidigte. Die Source Awards waren eine der wichtigsten Preisverleihungen im HipHop der 90er Jahre. Sie wurden vom Source Magazine, einer einflussreichen HipHop-Publikation, ins Leben gerufen und waren ein Meilenstein für die Anerkennung von HipHop-Künstlern. Die Source Awards waren eine gesamt-US-Veranstaltung. Daher ist es kein Wunder, dass sie im Kontext des West Coast gegen East Coast Konflikts instrumentalisiert wurden. Der gerne aggressiv austretende Suge Knight forderte die versammelte HipHip-Community auf, zu seinem Death Row-Label zu wechseln, "wenn ihr nicht wollt, dass euer Produzent in jedem Video tanzt". Eine harte Provokation. Insbesondere gegen Sean Combs - für jeden in der Szene verständlich. Danach mussten sich HipHop-Künstler noch deutlicher für eine Seite bekennen. Suge Knight war bekannt für seinen rücksichtslosen, oft furchteinflößenden Geschäftsansatz. Berichten zufolge setzte er Gewalt und Einschüchterung ein, um Verträge und Deals abzuschließen. Sein Name wurde immer wieder mit kriminellen Aktivitäten und Gangverbindungen (insbesondere zu den Bloods) in Verbindung gebracht.

Die Akte P. Diddy: Macht, Sex und ein Gott-Syndrom

2Pac - Hit 'Em Up (Edited Version) (Official Music Video)
2Pac - Hit 'Em Up (Edited Version) (Official Music Video)

Musikalische Schlacht: Diss-Tracks und Beleidigungen

Der Konflikt wurde zunehmend auch musikalisch ausgetragen, oft mit "Diss-Tracks", in denen die andere Seite beleidigt werden. Zwei Tracks waren dabei Meilensteine, bzw. Eskalationsstufen:

Das bereits genannte "Who Shot Ya?" von Biggie, einer frechen Provokation gegen Tupac. Und "Hit 'Em Up" von Tupac – einer geschmacklosen Antwort. Darin behauptet Tupac, eine Affäre mit Biggies Frau Faith Evans gehabt zu haben. Der Song ist zudem randvoll mit Fatshaming-Angriffen gegen Biggie. Das Publikum hielt geschockt den Atem an.

Death Row HOB, 2pac's Last Concert, July 4, 1996
Death Row HOB, 2pac's Last Concert, July 4, 1996

Medien, Fans und Gewalt: Öl ins Feuer

Die Medien spielten eine entscheidende Rolle. Magazine wie The Source nutzten den Konflikt, um die Fanbase zu mobilisieren. The Source war das erste und wichtigste Magazin, das sich ausschließlich mit HipHop-Kultur, Rap-Musik und der Lebenswelt der Community beschäftigte. Es wurde 1988 von zwei Harvard-Studenten, David Mays und Jon Shecter, gegründet. Anfangs war es nur ein kleines Newsletter-Projekt, das bald zur Bibel der HipHop-Kultur aufstieg. Aber auch der Mainstream, wie zum Beispiel MTV, sensationalisierte den Konflikt und stellten die Rivalität als Krieg dar. Fans nahmen Partei: West Coast-Fans feierten Tupac, während East Coast-Anhänger Biggie verteidigten.

In der realen Welt wurde die Fehde gewalttätig. Künstler wurden bedroht, Konzerte eskalierten, und Schlägereien brachen aus. HipHop bewegte sich immer mehr in eine gefährliche Richtung. Kein Wunder, die Künstler hatten vorzugsweise eine Entourage aus den betreffenden Problemvierteln ihrer Heimatstädte. Gewalt als Problemlösung waren dort etabliert, Schusswaffen waren zudem stark verbreitet.

The Notorious B.I.G. - Sky's The Limit (Official Music Video)
The Notorious B.I.G. - Sky's The Limit (Official Music Video)

Die Tragödie: Mord an Tupac und Biggie

Die Rivalität gipfelte in zwei unaufgeklärten Morden. Tupac Shakur wurde am 7. September 1996 in Las Vegas angeschossen, als er mit Suge Knight unterwegs war. Sechs Tage später erlag er seinen Verletzungen. Der Mord wurde nie aufgeklärt, doch es gibt zahlreiche Theorien über die Täter. The Notorious B.I.G. wurde am 9. März 1997 in Los Angeles erschossen, nur sechs Monate nach Tupacs Tod. Auch sein Mord bleibt bis heute ungelöst. Beide Morde schockierten die Welt und markierten das traurige Ende des Konflikts. Denn nach dem Tod von Tupac und Biggie versuchte die HipHop-Community, sich zu versöhnen. Künstler wie Dr. Dre, Snoop Dogg und Jay-Z traten für Einheit ein. Der Konflikt wird heute als Warnung gesehen, wie Rivalitäten in der Musikindustrie außer Kontrolle geraten können. Heute gelten Tupac und Biggie als Legenden. Ihre Musik lebt weiter, und ihr Einfluss ist in der gesamten HipHop-Kultur spürbar. So wurde aus einer musikalischen Rivalität ein kulturelles Drama – mit unvergesslicher Musik, aber auch einem bitteren Ende.

Tupac Shakurs Schicksalstag am 7. September 1996

New Orleans
IMAGO / Cavan Images
New Orleans

Was war mit der Südküste?

Während an der US Ostküste die Metropole New York mit seiner Bronx als Brutstätte des HipHop dominierte und im Westen die harten Stadtteile von L.A. folgten, hatte die US-Südküste keine vergleichbaren Stadtteile. Dabei hätte sich die Südküste, mit ihrer bedeutenden rassistischen Tradition, für eine Protestbewegung denkbar gut geeignet. Aber die Kultur der US-Südstaaten funktionierte immer etwas anders. New Orleans hatte zwar immer eine lebendige Musikkultur. Die Sklaven der ausbeuterischen Plantagen im Süden konnten selten ihre afrikanischen Wurzeln ausleben. Aber in New Orleans hatten - zumindest zeitweise - die Franzosen das Sagen. Und deren Umgang mit den afrikanischen Zwangsarbeitern war bedeutend entspannter. So konnten die dortigen Sklaven sich viele ursprüngliche Traditionen bewahren.

Und eine zentrale Rolle spielte dabei der Totenkult und die Beerdigungen. Weil eine Beerdigung zwar einen Abschied von einer geliebten Person bedeutet, diese Person aber in ein anderes Reich weiterzieht, ist die Rückkehr vom Friedhof eher eine Festivität. Auf dem Weg vom Friedhof spielt der Trauerzug Musik, die sich langsam in eine Party steigert. Jeder ist eingeladen, sich dem Zug anzuschließen, als eine "Second Line". Fast die ganze Musiktradition von New Orleans basiert auf der Kultur der "Second Line".

Nun geht es bei der "Second Line" natürlich um Jazz und Tanz. Die ersten Rap-Ansätze in New Orleans waren also geprägt vom Tanz und der bunten Vielfalt des Jazz. Was fehlte, war die tief im urbanen verankerte DJ-Kultur aus New York oder der Gangsta-Rap der Westküste. Während sich also Ost- und Westküste gegenseitig übertrumpfen wollten, waren in New Orleans der Ort für Rapper die Tanzflächen. Als in den 90ern dann die Gewalt New Orleans brutal ergriff, und diese Geschichten in die Musik der Südküste einging, waren die HipHop-Labels in L.A. und New York schon vollkommen etabliert, insbesondere kommerziell. Authentischer Gangsta-Rap von der Südküste, auch aus Houston oder Atlanta, hatte keine Chance mehr gegen das neue Establishment.

2Pac - Changes (Official Music Video) ft. Talent

2Pac - Changes (Official Music Video) ft. Talent
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